Eindringlich redet Berg-Guide Dario Melotti auf uns ein: „Strecke dein Becken weiter nach hinten! So kommst du mit den Händen näher an die Felswand“, sagt Dario. Und weiter: „Achte darauf, wo du deine Füße aufs Steigeisen setzen musst! Dann hakst du den Karabiner ins Sicherheitsseil und ziehst dich an der Kette hoch!“ Worte, bei denen man ganz genau hinhören muss, sonst droht ein Absturz:
Wir sind in den lombardischen Alpen und unsere kleine Wandergruppe ist wild entschlossen, unter Darios Führung den 3166 Meter hohen Lago Scuro-Horn zu erklimmen. Der Berg liegt zwei Autostunden von Mailand entfernt, an der Grenze zwischen Italien und der Schweiz.
Von ihm soll man einen wunderbaren Panoramablick über das Tal Valle Camonica genießen können.
Doch vor dem genussvollen Panoramablick aus der Höhe kommen erstmal die Anstrengungen eines kräftezehrenden Aufstiegs: Gesichert mit Karabinerhaken am Berg, jeder Wanderer durch Seile mit seinem Vorder- und dem Hintermann verbunden, bewegt man sich vorsichtig über 40 Zentimeter schmale Serpentinen, immer darauf bedacht, nicht daneben zu treten. Der Abgrund unmittelbar neben diesem Weg ist immerhin einige Hundert Meter tief.
Und das ist längst nicht der einzige Adrenalinstoß während unserer Tour. Zwei Hängebrücken müssen wir überwinden, beide je 60 Meter lang, in luftiger Höhe über dem Abgrund schwankend.
Und wo man sich - bei allem Respekt vor dem Berg - sicher fühlt, genießt man auch die Aussicht und die ist grandios.
„Mit ein klein wenig Glück sieht man Steinböcke, Steinadler und Geier“, muntert uns Dario immer wieder auf, wenn wir kurz davor sind, schlapp zu machen.
Solches Glück, seltene Tiere zu sehen, ist zwar nie garantiert, aber den besten Aufstieg auf den Lago Scuro-Horn erlebt man, wenn man seine Tour am Tonalpass startet und mit der Kabinenbahn bis zum Paradiso-Pass auf 2590 Meter Höhe fährt. Von da wird die Tour auf den Berggipfel noch anstrengend genug.
Unerlässlich dabei ist die richtige Verpflegung. Zwei Liter Wasser und mindestens einen Honigriegel sollte man im Rucksack haben. Sonst droht Übelkeit oder Unterzuckerung und der Kreislauf könnte schlapp machen.
Wer auf die Mühen einer solchen Bergtour gut verzichten kann, zieht auf anderen Routen durch die Welt der Alpen.
Im 80 Kilometer langen Valle Camonica Tal mit seinen drei Natur- und einem Nationalpark, wo Hirsche und Bären leben, gibt es 1000 Kilometer Wanderwege, dazu über 80 Kilometer Radwege, von denen mindestens 60 Kilometer fest ausgebaut sind.
Tipp: Nur wenig Anstrengung kostet die 25 Kilometer lange Rad-Tour, die bei Capo di Ponte startet. Dort kann man sich ein Rad ausleihen, um nach Boario zu radeln, wo man in der Stadt-Therme relaxen kann. Magnesium, Kalk und Salz geben dem Wasser eine heilende Wirkung bei Beschwerden der inneren Organe. Aber natürlich tut ein Thermen-Besuch auch den strapazierten (Wander-)Knochen gut.
Bei diesen tollen Wandertouren laden immer wieder Ausgrabungsplätze mit Funden aus der römischen Antike, mittelalterliche Kirchen und Klöster zum lehrreichen Zwischenstopp ein.
Weltberühmt und UNESCO-Kulturerbe ist das Valle Camonica übrigens für seine Jahrtausende alten Felsgravuren, die überall zu besichtigen sind.
Ein Muss ist auch ein Besuch des Archeoparks an der Boario-Therme, ein „lebendes Museum“, in dem der Besucher eine Grotte auskundschaftet und in einem steinzeitlichen Pfahldorf den Handwerkern über die Schulter schaut.
Nach Anstrengung und Bildung darf geschlemmt werden. Hier werden dem Gast mittags und abends mindestens drei Gänge serviert, wie Kastaniennudeln in Pilzen, Risotto mit Ziegenfrischkäse, Ravioli mit Spinat-Rosinenfüllung. Die Lombardei ist ja nicht zur Ziel für Alpinisten und Geschichtsforscher, sondern auch für Genießer.
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